Wenn die Tageshitze allmählich dem leichten Wind der Abenddämmerung wich, machten sich die römischen Sklaven daran, die Fackeln und Lampen zu entzünden. Denn nach Sonnenuntergang mussten alle Säulenhallen, Durchgänge, Räume und Kammern des Palastes künstlich beleuchtet werden. Durch die abendliche Beleuchtung waren die Grotte di Catullo schon damals von nahezu allen Ufern des Gardasees deutlich zu sehen. Eine ebenso aufwendige wie effektive Zurschaustellung des eigenen Reichtums und der politischen Macht.
Übrigens: Lassen Sie sich von den ausgewogenen Proportionen des Säulentors nicht täuschen. Allein diese Vorhalle hat eine stattliche Deckenhöhe von 12 Metern! Wenn Sie mal eine der älteren Rekonstruktion sehen, werden Sie erkennen, dass die italienischen Bauforscher die Seitenwände des Säulentors mit breiten Fenstern versehen haben. Das sieht nicht nur merkwürdig aus, sondern wäre in dieser Form auch architektonisch äußerst unwahrscheinlich. Interessant auf diesen älteren Rekonstruktionen sind zudem die Proportionen der Hallensäulen, die nämlich dermaßen schlank sind, dass sie unter dem Druck des Gebälks schlicht geborsten wären. Doch solche Überlegungen lassen sich natürlich erst anstellen, wenn man die Gelegenheit hat, im virtuellen Raum direkt davor zu stehen.
Einer der Sensationsfunde bei den archäologischen Ausgrabungen der Grotte di Catullo waren die Lochsteine, die offenbar in der Außenfassade der Substruktionsgewölbe vermauert waren. Solche Lochsteine kannte man bis dahin nur von römischen Theatern. Dort wurden sie dazu verwendet, die hölzernen Pfosten der Velaria zu halten – riesige Sonnensegel, die die Zuschauer vor der sengenden Hitze schützen sollten. Die Lochsteine der Grotte di Catullo deuten darauf hin, dass es auch hier ein solches Velarium gegeben hat, das bei den zum Teil recht kräftigen Winden des Garda Sees gut befestigt werden musste. Die massiven, vom Mauerwerk abstehenden Holzbalken dienten dazu, die Seile, die das Sonnensegel und die hohen Pfosten zusammenhielten, wie die Saiten eines Instruments durch doppelseitigen Zug auf Spannung zu bringen.
Auf diese Weise ließ sich selbst 25 Meter über dem Seeufer der Schatten genau dorthin bringen, wo man ihn am dringendsten brauchte: Nämlich an das nördliche Terrassenende, von wo aus man den gesamten Gardasee überblicken konnte. Tagsüber standen unter dem großen Sonnensegel verschiedene Sitz- und Liegemöbel, auf denen man bei einem guten Wein und den Klängen der Trommler, Harfen- und Flötenspieler zu Tische liegen und sich den kühlenden Seewind um die Nase wehen lassen konnte. Bei Regen und Gewitter wurde vermutlich einfach nur das Tuch des Velariums abgenommen. Während der kalten Herbst- und Wintermonate hingegen wird man das Sonnensegel komplett abgebaut und die Pfostenlöcher mit Steinplatten verschlossen haben.
Schon in der Antike dürfte der Ausblick von hier oben spektakulär gewesen sein. Von der Terrasse blickt man weit über den südlichen Gardasee und kann bei klarer Sicht sogar bis Maderno schauen. Weil in der Antike die Luft noch nicht so versmogt war, erschienen die Küsten des Gardasees oft noch sehr viel klarer. Wer allerdings heute zur Grotte di Catullo kommt in der Hoffnung, dort den Sonnenuntergang zu erleben, wird enttäuscht sein. Der archäologische Park schließt seine Tore bereits um 17 Uhr.